ORTSGESPRÄCHE BERLIN 17.11.2014
Meine Bühne am Tor
Ortsgespräche – Berlinerinnen und Berliner zeigen Orte in der großen Stadt. Ekvidi fotografiert dabei und schreibt die Geschichten auf.
Folge I – Komet Bernhard
Ich kam Ostern 1998 in Berlin an und als erstes fuhr ich mit meinem schönen alten Mercedes 123 zum Brandenburger Tor. Damals sah es hier ja noch ganz anders aus – gut, das Tor stand schon, aber den schönen Vorplatz, den gab es noch nicht. Dafür konnte man noch mit dem Auto durchfahren. Vor dem Tor standen Polizisten und denen wollte ich an diesem Tag eine schöne Dramaturgie bieten: Breit lächelnd fuhr ich mit meinem Auto durch das Wahrzeichen, einmal, zweimal und ein drittes Mal – im Rückspiegel konnte ich sehen, wie man meinetwegen anfing zu tuscheln. Ich fuhr nochmals durch das Tor, dieses Mal aber weiter direkt zum Hotel Adlon. Die Polizisten schien das zu beruhigen: „Ach, der steigt im Adlon ab, scheint also doch alles okay zu sein mit dem“, oder so ähnlich.
Ich hielt direkt vor dem Roten Teppich des Hotels und da kam mir auch schon ein Hotelpage entgegen. Ich bat darum, das Auto kurz stehen lassen zu können und meine Sachen selber zu tragen. „Natürlich“, lächelte er mir professionell entgegen. Ich schnappte mir also meinen schönen alten Lederkoffer aus dem Auto und darüber hinaus noch einen großen Teppich, den ich vom Theater in Mainz mitgebracht hatte. Zur Überraschung des Hotelpagen ging ich nun wieder zurück zum Brandenburger Tor – ich hatte schließlich gar kein Zimmer im Adlon, was der Hotelboy natürlich nicht wissen konnte.
Im und vor dem Adlon wurde es nun unruhig. Mein Auto stand schließlich immer noch vor der Tür, ich selber sah ein wenig aus wie Bin Laden und so lief ich mit einem Koffer in der Hand und einem Teppich unter’m Arm schnurstracks zum bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Ich breitete meinen 15 Meter langen Teppich aus und holte aus dem Lederkoffer eine Flasche Wein, ein frisch gebackenes Brot und ein leeres Buch. Feierlich tat ich so, als wäre ich so etwas wie eine Art Priester-Guru. Touristen umringten mich als bald und begannen, sich in mein Buch einzutragen. Der erste Polizist kam nun langsam auf mich zu. „Das sieht ja schön aus. Ich habe heute die Vorderseite des Brandenburger Tors zu bewachen“, sagte er zu mir. „Wow, dann haben wir die gleiche Aufgabe, denn ich habe die Hinterseite“, erwiderte ich lächelnd und streckte ihm meine Hand entgegen. Eine Sekunde lang sah der Hüter der Ordnung ratlos aus. Er hatte wohl verstanden, dass ich Künstler sei und mein Auto vor dem Adlon hatte er ja auch bemerkt. „Naja, mich haben sie mal wieder nicht informiert“, murmelte er. Alle wussten anscheinend von meinem Auftritt, nur ihn hatte man nicht eingeweiht. Natürlich hatte ich keinerlei Genehmigung für meine Aktion und während der ganzen Zeit war ich in großer Sorge, ob ich der Polizei meinen Ausweis zeigen müsste. Denn: Ich hatte zuvor in Mainz eine Kunst-Aktion veranstaltet, bei der ich mir innerhalb einer Woche zehn Haftbefehle an den Hals geschaffen hatte. Wenn die Polizisten nun also meine Personalien überprüft hätten, ich glaube, sie hätten ihre Pistolen gezogen.
Ich ging nochmal zurück zum Hotel Adlon, wo immer noch der Page neben meinem Auto wartete. „Ich hab’ schon mal die Polizei begrüßt, die weiß jetzt auch Bescheid“, rief ich ihm zu und holte aus meinem Auto einen langen, zusammengerollten Feuerwehrschlauch. Damit lief ich wieder zum Brandenburger Tor, wo gerade eine Gruppe junger Japanerinnen auf meinem Teppich stehend Fotos machte, während sich andere Touristen weiterhin in mein Buch eintrugen. Den Feuerwehrschlauch erblickend kam mir nun aber ein anderer, augenscheinlich höher dekorierterer Polizist entgegen. Doch noch ehe er mich ansprechen konnte, entschied ich mich, die Aktion abzubrechen. Ich packte meine Sachen, verabschiedete mich von den Anwesenden und ging schön ruhig zurück zum Auto, das natürlich immer noch vor dem Adlon unter Beobachtung des Hotelpagen stand. Ich schaute ihn an: „Ein Hotel kann ich mir nicht leisten, aber ich habe ein schönes Auto. Danke, dass ihr mir einen Parkplatz gegeben habt.“ „Alles in Ordnung“, erwiderte er. „Von mir aus hätte ich sie gerne als Gast begrüßt“.
Vor diesem Tag hatte ich mir die Frage gestellt, ob ich in dieser Stadt leben könnte. Dafür musste ich wissen, wie die Menschen hier auf mich reagieren würden. Nach meinem Auftritt am Brandenburger Tor wußte ich, dass Berlin meine Stadt wird.
Der Mensch
Komet Bernhard, 66, war Schreiner, bevor er zu einem Idol des Berliner Nachtlebens wurde. Seinen Spitznamen hat er von den Kindern seines Bruders, weil er so viele Geschichten vom Universum erzählt. Sein Markenzeichen ist ein Seifenblasenschwert, mit dem man ihn auf Festivals, Demos und Electro-Veranstaltungen antrifft.
Der Ort
Das Brandenburger Tor in Berlin-Mitte wurde in den Jahren von 1788 bis 1791 auf Anweisung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. errichtet und ist das bekannteste Wahrzeichen der Stadt. Es markierte die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin und damit die Grenze zwischen den Staaten des Warschauer Paktes und der NATO. Das Brandenburger Tor war bis zur deutschen Wiedervereinigung Symbol des Kalten Krieges und wurde nach 1990 zum Symbol der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas. Seit 2002 ist es für den Autoverkehr gesperrt und hat wieder einen repräsentativen Vorplatz.