Die magische Halbinsel

KOPENHAGEN TALES 09.06.2016

Bis zum Regenbogen und weiter

Die Refshaleøen im ehemaligen Hafengebiet von Kopenhagen ist ein magischer Ort. Als Standort einer Großwerft früher einmal Symbol der dänischen Industriegeschichte, beherbergt die Halbinsel unweit von Christiania heute eine Mischung aus Kreativunternehmen, Handwerksfirmen, Sport und Kultur. Mit Blick auf die wunderschöne Kopenhagener Hafenlandschaft samt ihrer riesigen Kreuzfahrtschiffe bieten die vielen Freiflächen und die Abwesenheit von lärmgeplagten Anwohnern den idealen Nährboden für das alljährliche Highlight auf der Halbinsel: Dem Abschlußfest zur Distortion, der größten Straßenparty Kopenhagens, die mit über 100.000 Besuchern am Tag eine knappe Woche lang die dänische Hauptstadt in eine riesige Open-Air-Location verwandelt. Seit vier Jahren mit einer eigenen Bühne fester Bestandteil des Festivals: Die Kultstätte Keller aus Berlin-Neukölln.

Schon vor zwei Jahren durfte ich miterleben und fotografieren, wie Berliner Feierwütige innerhalb kürzester Zeit in kollektiver Arbeit quasi aus dem Nichts einen fabelhaften Ort zum Tanzen und Träumen schufen. War ich damals schon sehr beeindruckt vom gemeinsamen Schaffenspotential der Hedo-Hippie-Klassenfahrt, sollte in diesem Jahr dank der Mitarbeit des großartigen Ram Schakl-Kollektivs alles noch viel größer, schöner und magischer werden… 25 Berliner Kreativkünstler, 100 Stunden Zeit und ein gemeinsames Ziel: Den schönsten Floor der Distortion zu errichten.

Blick über die Halbinsel Refshaleøen

 

Der Aufbau, oder: Auf den Trümmern das Paradies

Als ich am Mittwoch Morgen noch halbverschlafen auf der Refshaleøen-Halbinsel ankomme, ist von einer Party-Location noch wenig zu erkennen. Wo in 60 Stunden einmal der bunteste Schwof der Distortion stattfinden soll, überwildern noch Gestrüpp und hohes Gras eine müllbeladene Freifläche hinter einer großen Lagerhalle. Es gibt also noch viel zu tun, aber genau das macht den Zauber des gemeinsamen Ausflugs der Berliner Feierkünstler aus: Die Gewissheit, dank eines gemeinsamen großen Ziels in Teamarbeit jede Aufgabe meistern zu können. Du hast noch nie eine Motorsäge bedient? Lernst Du jetzt! Holz abschleifen? Kann jeder! Du willst lieber die Deko machen? Auch gut! Jeder kann etwas, jeder bringt sich ein, und so läuten die Berliner Kreativlinge den 20-Stunden-Tag ein.

Besonders beeindruckend: Die drei nimmermüden Duracell-Hasen von Ram Schakl (von denen stets einer eine goldene Krone trägt, es ist eine Monarchie auf Rotationssystembasis, wie ich später erfahre). Das Bühnenkonzept kam aus ihren Köpfen und der Aufbau federführend aus ihren Händen. Mit Ram Schakl könnte man vielleicht sogar noch den BER zu Ende bauen… Ein emsiges Treiben bestimmt fortan das Geschehen an der Bühne, die zwar Firetruck Stage heißt aber am Ende wie eine Mischung aus Circus und Kutsche aussehen wird. Es wird gesägt, gehämmert und improvisiert und was am Mittwoch noch als karges Podest in der Landschaft stand ist am Freitag Nachmittag tatsächlich eine fertige Bühne samt großer Bar, Pizza-Stand und Lichtpult. Die Spiele können also beginnen…

Der Party erster Streich, oder: Generalprobe und mehr

Freitag Abend, es geht los. Das Team rund um die Kultstätte Keller und des Ram Schakl-Kollektivs ist angespannt: Wird alles funktionieren? Wird den Kopenhagenern unsere Bühne gefallen? Und: Kommt überhaupt irgendjemand? „Heute ist eh nur die Generalprobe“, haben wir die Worte von Nils vom Keller im Ohr, denn die eigentliche Final Party findet ja erst morgen statt.

Aber was heißt hier Generalprobe: Innerhalb kürzester Zeit ist der Berlin-Floor auf der Distortion berstend voll. Wildfremde Menschen liegen sich in den Armen, Augen glänzen, bei sternenklarem Himmel verwandelt sich bereits die erste Partynacht dank wunderschöner Bühne, beeindruckendem Feuerspucker, leckerer Keller-Mate, gigantischer Lasershow und schönster elektronischer Musik von u.a. Tobi Tastic, Monolink und Acud zu einem mitreißendem Fest. Soviel Liebe und Detail steckt in diesem Floor, Kreativität, die man anfassen kann und die in der Nacht funkelt. Die Generalprobe ist gelungen und alle fragen sich: Wie können wir das morgen noch übertreffen?

Die Final Party, oder: Berlin küsst Kopenhagen

Samstag Abend, kurz vor 20 Uhr… Auf dem Gelände der Keller-Bühne finden die letzten Aufräumarbeiten statt. Die Crew ist müde, die meisten fragen sich, wie sie eine weitere Nacht voller Ekstase und Euphorie bewältigen sollen. Doch Mittel und Wege werden sich finden und ehe man sich versehen kann hat das neugierige Distortion-Publikum den Berlin-Floor auch schon wieder überrannt.

Mit dem erstklassigen Line-Up rund um David Dorad, Nicorus, Aparde und Brigade entwickelt diese Nacht ihre ganze Wucht und strahlt wie ein bunter Stern inmitten des kommerziellen und teilweise lieblosen Kosmos der Distortion (Red Bull Arena und Co. lassen grüßen). An dieser Stelle sei noch einmal das wahrhaft magische Licht erwähnt, welches die Firetruck Stage der Kultstätte Kellers bunterdings verzauberte und dem man anmerkte, dass es ansonsten auf der Fusion, der Nation und im Kater sein luxoriöses Werk vollbringt. Licht ist alles und alles ist Licht. Ein kleines Stück Berliner Feierkultur (DEM Berliner Exportschlager neben BER-Witzen) inmitten des ehemaligen Hafens von Kopenhagen, auf der magischen Halbinsel von Refshaleøen. Die Kopenhagener sind begeistert, der fusioneske Floor auch noch in den Morgenstunden voller als voll und hätte die Security nicht irgendwann gegen 7 damit gedroht, den Strom abzustellen, die Party wäre noch ewig weiter gegangen (offizieller Feier-Zapfensteich war um 6, andere Länder, andere Sitten…).

Das Ende, oder: Bis zum Regenbogen und weiter

Wenn eine Party gelungen ist, wenn die Besucher Spaß hatten, tanzen und ihre Sinne erweitern konnten, wenn also alles geklappt hat wie man sich das vorher so vorgestellt hat … dann kann man die Energie eines Ortes wie mit Händen anfassen, dann erscheint auch plötzlich ein Regenbogen, ganz ohne Regen. 100 Stunden teilweise quälende Aufbauarbeit, sie haben sich gelohnt. War die Keller-Bühne in den letzten Jahren noch der Geheimtipp der Distortion, entwickelte sie sich in diesem Jahr zum Highlight des Wochenendes. Und so sollte Die Afterparty der Kreativkünstler aus Berlin entsprechend legendär werden, mit all der abgefallenen Last der letzten Tage, ein Morgen, so unendlich wie die Sehnsucht nach Musik, Tanz und Liebe, angetrieben von der kollektiven Gewissheit, alles gemeinschaftlich schaffen zu können. Ein sonnenstrahltrunkener Morgen, an dem als Schlusspunkt noch ein waschechter Monofink angeflogen kam, aber das ist eine ganz andere Geschichte die für immer auf der magischen Halbinsel Refshaleøen in Kopenhagen bleiben wird.

Ein Regenbogen ohne Regen ... am Morgen danach ist die Bühne vom Keller und Ram Schakl noch voller Energie

 

 

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