NEUKÖLLN TALES 26.06.2016
Gesichter und Geschichten einer Großstadtstraße
Seit knapp drei Jahren wohne ich in der Emser Straße in Berlin-Neukölln. Ich schätze die kulturelle Vielfalt hier, mag die Cafés und Kneipen und sitze gerne bis spät in die Nacht am großen Platz vor der zentralen Feuerwehrwache. Doch obwohl ich sehr häufig in meinem Kiez unterwegs bin, bewege ich mich in einer kompletter Anonymität. Klar, mit der Stammspäti-Frau wird gerne mal kurz über das Wetter oder die Weltlage philosophiert und der Bäcker an der Ecke hat mittlerweile gemerkt, welche Brötchen mich morgens glücklich machen … aber darüber hinaus weiß ich eigentlich nichts über die knapp 4.000 Menschen, mit denen ich zusammen in einer Straße vom Tempelhofer Feld kommend bis zum Bahnhof Neukölln wohne.
Die Anonymität aufzubrechen, der Großstadt Gesichter und Geschichten zu entlocken und zu präsentieren, diese Aufgabe hat sich die Berliner Fotografin Jenny Fitz gestellt und zusammen mit vielen Mitstreitern ihre Nachbarn der Emser Straße getroffen und fotografiert. Das Ergebnis von tagelangen Spaziergängen, 150 Stunden Dunkelkammer und unzähligen Nachbarschaftsgesprächen ist das Projekt „Emser Köpfe“, das im Rahmen des alljährlichen Kunstspektakels „48 Stunden Neukölln“ an diesem Wochenende in großformatigen (analogen) Schwarz-Weiß-Fotografien die Menschen dieser Straße in einer Freiluft-Ausstellung zeigt – natürlich in der Emser Straße. Ergänzt wurden die ca. 60 Portraitaufnahmen von großen und kleinen Geschichten der Anwohner, die über Wochen gesammelt und ebenfalls an diesem Wochenende überall in der Emser Straße angebracht wurden und öffentlich vom großartigen Andreas Borucki vorgetragen wurden.
Meine große Emser Straße, alltäglich bekannt und doch so fremd, an diesem Wochenende bist Du mir vertrauter geworden, viele Geheimnisse wurden Dir entlockt, aus Fremden wurden Bekannte. Und seien wir mal ehrlich: Insgeheim sehnen wir Großstadtmenschen uns doch alle nach ein bisschen Dörflichkeit…
carlonte
Fitzn is beste!