South Tales 19.02.2017
Bis an Ende der Welt
In der letzten Folge der 75 Days of New Zealand war ich bekanntlich im Paradies angekommen. So jedenfalls heißt einTal unweit des traumhaft schönen Örtchen Glenorchy nördlich von Queenstown, in dem ich ein paar Tage verbringe. Und im Paradies gibt es viel zu entdecken: Wälder direkt aus dem Herr der Ringe-Bilderbuch, Gletscher, Berge und Seen. „Oh wow“ ist der wohl am häufigsten gebrauchte Ausspruch in diesen Tagen und ich bekomme eine richtige Passion für das Erwandern von Bergen.
Nach einigen Tagen im Paradies stelle ich aber fest, dass mir etwas fehlt. Es ist hier alles wunderschön, ohne Frage, meine Fotos versuchen, diesen wahnsinnigen Naturzauber abzubilden, aber in echt sieht das alles noch viel, viel umwerfender aus. Aber Schönheit ist nicht alles. Ich vermisse das Meer. In Raglan, im Norden Neuseelands, hatte ich diesen so passenden Spruch gesehen: „The ocean is everything I want to be, wild, mysterious and free“. Er entspricht genau meiner Leidenschaft für die Kraft und Unendlichkeit der See. Am Morgen meines Entschlusses zurück zum Meer zu reisen erstrahlt ein Regenbogen über Glenorchys Bergpracht. Ein würdevoller Abschied, wie ich meine.
Das tolle an Neuseeland ist, dass sich hier jede und jeder das raussuchen kann, was er oder sie für sich braucht. Vom Bergeparadies bis ans Meer sind es nur vier Stunden Fahrt, eine unterhaltsame Fahrt, denn ich nehme wie immer einen Anhalter mit und in diesem Fall stellt sich heraus, dass mein Mitreisender Kiwi als Psytrance-DJ unterwegs ist. Er erzählt mir von geheimen Bergfestivals und rauschender Botanik, aber dazu mehr in einer kommenden Folgen der 75 Days of New Zealand. Zurück zu dem Meer. Mein Ziel heißt Dunedin, mehr aus Zufall habe ich diesen Ort ausgewählt, er erfüllt hauptsächlich zwei Kriterien: Besseres Wetter als in den Bergen (nachts gingen die Temperaturen auf unter 5 Grad, brrr) und gelegen an der Küste. Ich weiß ansonsten gar nichts über diese Stadt, umso größer ist meine Begeisterung, als ich merke, wo ich gelandet bin. Dunedin, mit 120.000 Einwohnern Neuseelands fünftgrößte Stadt, war im 19. Jahrhundert Ausgangstor für den damaligen Goldrausch auf der Südinsel und in dieser Zeit reichste Stadt des Landes. Es entstand die erste Universität Neuseelands, die erste Tageszeitung wurde gegründet, die erste Kabelstraßenbahn gebaut, kurz um, Dunedin war am Ende des 19. Jahrhunderts eine blühende Metropole. An allen Enden und Ecken findet man heute noch beeindruckende architektonische Denkmäler aus dieser Zeit. Doch nach Ende des Goldgräberei und spätestens mit der Weltwirtschaftskrise 1929 begann ein Niedergang, der bis heute nur bedingt aufgehalten wurde, in erster Linie ist Dunedin im 21. Jahrhundert eine mit viel Streetart gespickte Studenten- und Künstlerstadt, die nicht so modern wie Auckland oder so glitzernd wie Queenstown daherkommt. Dunedin ist ein realer Ort in einem surrealen Land, und genau das macht seine Faszination aus, in Kombination mit einem traumhaft schönen Strand und der Rauhheit des Meeres, die sich auf den Ort und seine Bewohner zu übertragen scheint. Ohne es zu wissen, habe ich mein ganz eigenes Paradies angesteuert, denn was kann es schöneres geben als eine Stadt am Meer, die dazu noch zur Straßenfotografie einlädt?!
Ich genieße die Zeit an einem Ort, der in keinem Reiseführer als sonderlich attraktiv gelten wird, mich aber jeden Tag auf’s Neue fasziniert. In Dunedin lerne ich ein Pärchen aus Kanada kennen, wir sprechen über unsere Reisepläne und sie erzählen mir vom südlichsten Punkt der neuseeländischen Südinsel, dem Slope Point, und dass es dort sehr schön sein soll. Ich lasse mich von der Idee treiben, sage dem geliebten Dunedin Lebewohl und zwei französisch sprechende Kanadier und ein Deutscher fahren englisch kommunizierend in einem japanischen Auto an das Ende Neuseelands. Die Welt vereint auf der Suche nach ihrer Schönheit. Unterwegs machen wir einen Stopp am Nugget Point, einem alten Leuchtturm mit dahinter gelagerten wie Nuggets aussehenden Felsen im Meer. Wir sind überwältigt von der Ausdrucksstärke der Natur, eine zufällige Formation, die doch so wirkt, als sei sie bis ins Detail geplant.
Vom Nugget Point bis zum Ende der Welt bzw. der Südinsel Neuseelands ist es nicht mehr weit. Der Slope Point, so heißt die Stelle, ist eine Klippe mit brachialem Wellenschlag. Über eine Schaafsweide erreichbar, stehen wir plötzlich vor dem Markierungspunkt, der zugleich ein Wegweiser ist. Nach links geht es zum Equator, nach rechts zum Südpol. Und für uns fühlt es sich so an, als würden wir gerade den Mond betreten. Die menschenleeren endlosen Weiten, das wilde Meer, die rauhen Felsen… Slope Point überwältigt uns alle drei, für mich ist es der eindrucksvollste Ort meiner bisherigen Reise. Dass sich direkt nebenan ein wunderschöner (mit Schaukel!) und zudem kostenloser Campingplatz befindet, rundet eine wunderbare Etappe der 75 Days of New Zealand ab. Was mit einem Regenbogen vor zehn Tagen in Glenorchy begann, endet nun mit einem strahlenden Sternenhimmel am Ende der Welt.
Am nächsten Tag trennen sich die Wege der deutsch-kanadischen Reisegesellschaft. Die beiden fahren nach Glenorchy, also nehmen die Strecke, von der ich kam. Für mich geht es weiter zum Monkey Island Beach. Hört sich toll an, oder? Fortsetzung folgt…
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