Der braune Dienstag

ORTSGESPRÄCHE BERLIN 07.12.2014

Ortsgespräche – Berlinerinnen und Berliner zeigen Orte in der großen Stadt. Ekvidi fotografiert dabei und schreibt die Geschichten auf.  

Folge IV – Oliver Höfinghoff

Es passierte im Frühjahr 2013, als dem Berliner Sozialsenator auffiel, dass Berlin viel mehr Flüchtlinge aufnehmen wird als dafür Unterkünfte zur Verfügung stehen. Er fing also an, in den Bezirken rumzurennen, um neue Unterbringungsmöglichkeiten ausfindig zu machen. Eine davon sollte in Hellersdorf entstehen, und, sagen wir es mal so, das Landesamt für Gesundheit und Soziales, das dem CDU-Sozialsenator untersteht, und der von der SPD regierte Bezirk versäumten es ein ganzes Stück weit, den Anwohnern rechtzeitig zu vermitteln, dass bei Ihnen eine neue Flüchtlingsunterkunft errichtet werden soll.

Für den Juli 2013 plante der Bezirk deshalb eine öffentliche Bürgerversammlung auf dem Hof der örtlichen Schule am Rosenhain, zu der alle Anawohnerinnen und Anwohner eingeladen wurden. Diese Gelegenheit nutzte ein Haufen altbekannter Nazis aus, um Stimmung gegen die neue Unterkunft zu machen. Aus der gesamten Stadt und aus Brandenburg mobilisierten sie ihre Leute, um ihrer „deutschen Wut“ mal so richtig Ausdruck zu verleihen. Unter den etwa 400 Teilnehmern und Teilnehmerinnen der Veranstaltung befand sich daher ein nicht unbeträchtlicher Teil des hiesigen Nazi-Mobs.

Es kam, wie es kommen musste: Die Nazis standen Schlange vor dem offenen Mikrofon auf dem Versammlungs-Schulhof, um ihre Hassparolen loszuwerden. Kurioserweise hatten zuvor sowohl das Landesamt für Verfassungsschutz, der Polizeiliche Staatsschutz als auch die Mobile Beratung gegen Rechts den Bezirk gewarnt, dass bei der Veranstaltung mit dem Auftreten von organisierten Rechten zu rechnen sei. Nazis aus dem Spektrum der mittlerweile verbotenen Kameradschaft Frontbann 24, Mitglieder von NPD und Die Rechte, kaum jemand aus der Berliner Nazi-Szene fehlte an diesem braunen Dienstag in Hellersdorf. Der Landesvorsitzende der Berliner NPD stürmte gar aus dem Publikum nach vorne und schnappte sich das Mikrofon, um seine Nazi-Parolen da rein blöken zu können. Ihm wurde dann zwar das Mikro wieder entrissen, aber ihm folgten lauter weitere Nazis, die sich ganz brav in die Schlange zur freien Rede gestellt hatten wie zum Beispiel die damalige Vorsitzende des „Rings Nationaler Frauen“, einer Art Frauen-in-der-NPD-Gruseltruppe. Niemand von Seiten des Bezirks intervenierte dagegen. Ich selber war auch vor Ort und spürte, wie die Stimmung sehr schnell wahnsinnig aggressiv wurde. Einige der Rechten trugen T-Shirts mit den Daten der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen, frei nach dem Motto: Das droht Euch hier auch, wenn das Heim kommt.

Von den Behörden ernstgenommen wurde das alles nicht. Es gab danach zwar einige Anzeigen wegen Volksverhetzung, aber sämtliche Verfahren wurden eingestellt. Später hetzten die Nazis unter dem Deckmantel einer vermeintlichen Bürgerinitiative weiter gegen das Flüchtlingsheim in Hellersdorf und organisierten etliche gewaltbereite Demos – es war das erste Mal in Berlin, dass Nazis unmittelbar gegen konkrete Flüchtlingswohnheime Aktivitäten zeigen konnten. In der Größe, mit dem Mobilisierungspotential und der Dauer gab es diese Verknüpfung von rassistischen Ressentiments in der Bevölkerung auf der einen Seite und organisierten Nazis auf der anderen zuvor noch nicht. Da sieht man, was passiert, wenn man den Rechten nicht von Anfang an entgegen tritt.

 

Der Mensch
Oliver Höfinghoff, gebürtiger Friedrichshainer, sitzt seit 2011 im Berliner Abgeordnetenhaus und war langjähriges Mitglied der Piratenpartei, deren Fraktionsvorsitz er auch eine Zeit lang inne hatte. Er ist Mitglied im Parlamentsausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr. Höfinghoff hat sich im Berliner Parlament und auf vielen Veranstaltungen als engagierter und streitbarer Antifaschist einen Namen gemacht.

Der Ort
Die Schule am Rosenhain im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf ist eine Grundschule und eine Schule der Sekundarstufe 1 mit dem Förderschwerpunkt „Lernen“. Knapp 250 Schülerinnen und Schüler der Klassen 3 bis 10 lernen bei ihr unter einem Dach. Nach dem brauen Dienstag fand keine weitere Bürgerversammlung mehr auf ihrem Schulhof statt.

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