Spuren im Scheunen-viertel

ORTSGESPRÄCHE BERLIN 16.12.2014

Ortsgespräche – Berlinerinnen und Berliner zeigen Orte in der großen Stadt. Ekvidi fotografiert dabei und schreibt die Geschichten auf.  

Folge V – Benedikt Lux

Für mich ist das Scheunenviertel ein Ort, in dem ich eins werden kann mit der Berliner Geschichte und der meiner Familie. Hier in der Krausnickstraße haben meine Großeltern jahrelang gewohnt und ein Teil meiner Familie ist hier aufgewachsen. Mein Großvater war Ende der Dreißiger Jahre Chefarzt im gegenüber liegenden St-Hedwigs-Krankenhaus, meine Großmutter hat hier elf Kinder zur Welt gebracht. Meine Großeltern kamen aus Schlesien, waren katholisch und konservativ, haben immer Zentrum gewählt. Daraus wurden dann auch während der Nazi-Zeit keine Widerständler, wohl aber konnte man eine gewisse Ambivalenz erkennen. Im St- Hedwigs-Krankenhaus wurden Juden versteckt und auch von meinem Opa kostenlos behandelt. Auf der anderen Seite wurde er als Arzt für die Hitler-Jugend eingezogen und spritzte Kanonenfutter für den Krieg fit. Nach dem Krieg wurde mein Großvater entnazifiziert, das heißt, es gab Überlebende des Holocausts, die für ihn ausgesagt haben. Das war ein langer Prozess, als Arzt der Hitler-Jugend wurde er natürlich unter die Lupe genommen und dabei auch von den Soviets festgehalten. In den 50er Jahren zog meine Familie dann nach Lichterfelde. Kennengelernt habe ich meinen Opa leider nie, er starb im Jahr meiner Geburt.

Über diese Gegend mit ihrem ehemals sehr vitalem jüdischen Leben habe ich zum ersten Mal in der Grundschule gehört, „Damals war es Friedrich“ las ich wohl in der 3. oder 4. Klasse und ging mir sehr nahe. Zeitgleich erzählte mir meine Großmutter, wie sie hier damals gelebt haben. In meine Grundschulzeit fällt die Wendezeit und so konnte ich mir damals das Scheunenviertel zum ersten Mal selber anschauen, was natürlich super spannend für mich war. Es sah hier noch ganz anders aus als heute, der Hackesche Markt war noch nicht saniert und die Häuser im Viertel waren verfallen und hatten tausende Einschusslöcher.

Später sollte ich die Gegend weitere Male kennenlernen: Mitte der Neunziger Jahre war sie für mich ein Ort zum Ausgehen und Feiern, dem morbiden Charme von Tacheles, Eimer und Co. konnte ich mich damals als Jugendlicher kaum entziehen. Ich habe dann ab der 10. Klasse Gedenkstättenfahrten unter anderem nach Auschwitz organisiert und das Scheunenviertel war für mich immer ein Berliner Bezugsort der Geschichte, von der Vertreibung jüdischen Lebens bis hin zum systematischen Mord an jüdischen Berlinerinnen und Berlinern.

In den 2000er Jahren dann studierte ich um die Ecke an der Humboldt-Universität und dann wohnte ich ein paar Straßen weiter mit meiner damaligen WG. Im Gemeindehaus der Sophienkirche lerne ich fürs Staatsexamen, bis 2009 hatte ich eigentlich immer Anknüpfpunkte im Viertel. Fast alles hier ist mittlerweile hochsaniert worden, aber ich finde, es ist auch gelungen, die Geschichte zu bewahren. Es gibt z.B. den Sophienfriedhof, ein Stück weiter befindet sich das ehemalige jüdische Seniorenwohnheim, welches zur Zeit restauriert wird. Sehr beeindruckt war ich auch immer vom Koppenplatz mit seinem Denkmal „Der verlassene Raum“, das an die Deportation Berliner Jüdinnen und Juden erinnert. Für mich ist das Scheunenviertel eine Gegend, in der ich mich als Person sowas von klein fühle und die Geschichte einatmen kann. Hier erfahre ich zugleich Entspannung und Anregung, der Flair berauscht mich, noch heute gehe ich im Scheunenviertel sehr gerne spazieren.


Der Mensch
Benedikt Lux ist seit 2006 für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Jurist und Rechtsanwalt ist sowohl innen- als auch drogenpolitischer Sprecher der Grünen Fraktion in Berlin und außerdem ihr parlamentarischer Geschäftsführer.

Der Ort
Als das Scheunenviertel bezeichnet man den östlich der Rosenthaler Straße in Berlin-Mitte gelegenen Teil der Spandauer Vorstadt. Seinen Namen verdankt es dem Bau von Scheunen im 17. Jahrhundert, die Heu und Stroh für den Viehmarkt auf dem Areal des heutigen Alexanderplatzes lagerten. Bis zur Nazi-Zeit war das Scheunenviertel ein Zentrum für jüdisches Leben in Berlin.

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