ORTSGESPRÄCH 06.05.2019: Berliner*innen zeigen Orte mit Bedeutung in der großen Stadt.
Folge IX: Robin Schellenberg
„In das Projekt Klunkerkranich stecke ich in der mittlerweile siebten Saison alles rein, was ich in mir habe. Und das mit sehr vielen Leuten, wir sind im festen Team ca. 80 Menschen und davon sind 15 in einer Art mittleren Führungsposition in unserem Kernteam. Im Laufe der letzten zehn Jahre war ich mit vielen von ihnen in mehreren Projekten verhaftet, aber der Klunkerkranich ist mittlerweile das, in was am allermeisten dauerhaft Liebe reinfließt. Wir möchten zusammen einen Ort schaffen, in dem wir uns alle wohl fühlen… und ich fühle mich hier schon sehr zu Hause!
Vom Grundkonzept her ist der Klunkerkranich etwas, was überall funktionieren sollte: Wir versuchen offen zu sein für alle und haben eine Open-Door-Politik, unsere Gäste reichen von frisch geschlüpft bis ich kann kaum noch gehen. Ich glaube, dass der Klunkerkranich sehr gut nach Neukölln passt, denn dieser Bezirk ist genauso offen und tangiert erstmal niemanden negativ. Natürlich gibt es mittlerweile auch Probleme in Neukölln, das Mietenthema ist hier ein Stichwort, aber wenn ich in einer zerfledderten Jogginghose auf die Straße gehe, schaut mich einfach keiner schräg an. Das gefällt mir sehr.
Eigentlich war das ganze Projekt von Anfang an so gedacht, wie es heute aussieht, nur die Größendimension, die hätte ich mir nicht erträumt. Wir haben manchmal mittlerweile mehrere Tausend Gäste pro Tag. Dadurch, dass wir um 12 Uhr mittags aufmachen und es am Wochenende bis nachts um 4 geht, haben wir ein sehr heterogenes Publikum. Da hast Du morgens die alte Dame aus dem Kiez, die auf einen Kaffee vorbeikommt, nachmittags bekommen wir dann einen krassen Touristenschwall, bei dem die Leute kurz für ein Foto vorbeikommen und sich die Berlin-Atmosphäre abholen wollen, abends wird es dann mehr wie eine Bar für Berliner und Neuköllner und der ganze Platz sitzt draußen und redet. Später entwickelt sich dann daraus eine spätere Baratmosphäre und dann wird es auch noch clubbig. Das spiegelt die Vielschichtigkeit Neuköllns wider und deswegen fühle ich in diesem Bezirk so wohl mit dem Klunkerkranich.
Wir haben verschiedene Werte entwickelt und festgelegt. So ist zum Beispiel unser Gartenbereich immer eintrittsfrei und Leute können sich dort– in Maßen – eigene Getränke mitbringen, um die finanzielle Barriere niedrig zu halten. Dass das hier ein Ort für alle sein soll und sich alle wohlfühlen können, dass verfechten wir hier jeden Tag „auf dem Platz“. Der Klunkerkranich ist ein Ort für Menschen in allen möglichen Zuständen. Und er ist bis heute nicht fertig. Wir haben am Anfang in einer 12-wöchigen Bauphase, die Basis hingestellt. Also so, dass man irgendwie Bier verkaufen konnte und irgendwo jemand steht und Musik macht. Die erste Hütte ist dann irgendwann überdacht worden, wir haben den Garten eingerichtet, den Draußen-Bereich gestaltet und seit 2017 mit „Hinter den Alpen“ einen richtigen Dancefloor gebaut. So hat sich unsere Nutzung mit der Zeit Stück für Stück in das ehemalige Parkdeck gefräst. Wenn der Wind gut steht und die Wimpel an den Laternen wehen, dazu das leichte Rauschen des Autoverkehrs, es fühlt sich so an wie Neukölln am Meer. Das ist wie Urlaub in der Stadt und das war auch einer der Ansätze von Anfang an: Ein grünes Biotop zu renaturieren auf einer Fläche, die eigentlich mal dafür da war, dass alles tot sein soll, das war ja hier früher ein reiner Parkplatz für Autos. Und wir kommen daher und bepflanzen einfach alles, was so geht. Es wächst überall – wenn Du nur willst!
Man sieht dem Klunkerkranich an, dass hier ganz verschiedene Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Backgrounds beteiligt sind. Dass sich hier viele unterschiedliche Leute Ideen ausdenken und eigene und gemeinsame Werte vertreten. Das Bauteam achtet zum Beispiel auf ganz andere Sachen als das Gartenteam und am Ende kommt es immer zu einem großen Kompromiss im Sinne von „Leute kommen zusammen und niemand kann zu 100% seine Sicht durchsetzen“. Kompromiss als Ergebnis von demokratischen Strukturen. Die Leute sollen sich gegenseitig befruchten und gut tun, und am Ende, wenn sie weiterziehen, mit mehr gehen als sie gekommen sind. Eine unserer Leitungspersonen hat früher die Schule abgebrochen und heute koordiniert sie 80 Leute. Die Leute darin weiterzubringen worin sie gut sind und was sie gerne tun, das ist ein ganz wichtiger Bestandteil zum glücklich werden. Für mich ist mittlerweile eins der größten Ziele meines Lebens, glücklich zu werden ohne anderen dabei zu schaden, oder, besser gesagt: mit anderen noch glücklicher zu werden.
Immer wieder kommt die Frage auf, ob sich der Klunkerkranich nicht zu einem reinen Touristen-Ort entwickle. Ich sehe das anders. Es ist nun mal so, dass große alternative Projekte in der Gastronomie und anderswo in der Berliner Clubkultur in diesen Dimensionen ohne Touristen gar nicht mehr möglich wären und ich muss auch sagen, dass ich dieses allgegenwärtige Touristen-Bashing nicht zielführend finde. Lutz Leichsenring von der Club Commission hat das mal sehr schön gesagt: Solange Touristen programmgetrieben sind macht er sich keine Sorgen und ich finde diesen Satz ziemlich schön. Viele Touristen kommen eben auch, um sich Inputs aus Berlin zu holen und das genieße ich wiederum schon, weil ich glaube, dass wir damit nach außen tragen können, wie wir Stadt sehen und wie wir Stadt leben. Ich habe auch von vielen Menschen schon gehört, dass sie sich bei uns Inspirationen geholt und zu Hause bei sich angefangen haben, Sachen zu verwirklichen. Das finde ich einfach wirklich wichtig! Das wir uns gegenseitig Inputs geben und die Welt zu einem besseren Ort machen. Was man aber schon merkt bei uns auf dem Dach: Es wird fast nur noch Englisch gesprochen. Das scheint aber eine starke Tendenz in ganz Neukölln zu sein. Immerhin treffen hier 150 Nationalitäten aufeinander – was sollte da besser zur Kommunikation sein als die englische Sprache.
Ich merke mittlerweile, dass wir als Projekt ernst genommen werden. Wo man früher noch einen schmutzigen Keller ausgebaut hat und niemand von Seiten der Vermieter oder der Stadt wirklich Verständnis gezeigt hat, wird mittlerweile anerkannt, warum wir das eigentlich tun und welchen Mehrwert das für Neukölln hat. Vom Bürgermeister der großen Stadt bis zum Bezirk und runter zum Sachbearbeiter, sie sind uns alle wohlgesonnen, was mich für die Zukunft total freut, denn ich habe noch viele Ideen für die Weiterentwicklung und es wird auch in dieser Saison wieder viel Neues gebaut.
Ich habe sehr früh in meinem Leben angefangen, Sachen zu machen. Seit meinem 23. Lebensjahr habe ich versch. Projekte gegründet, erst das Fuchs und Elster, dann die Kindl Brauerei und jetzt das Projekt Klunkerkranich. Seit Anfang an begleiten mich meine beiden Partner Dorle und Julian. Wir sind ein festeingeschworenes Team und kennen uns mittlerweile in-und-auswendig. Mittlerweile habe ich die Möglichkeit, nicht mehr 70 Stunden in der Woche arbeiten zu müssen, sondern meine Tätigkeit auf den Umfang eines „normalen“ Vollzeitjobs zu reduzieren, so dass ich mit meinen anderen jetzt freien Überstunden anfangen kann, neue Projekte anzugehen. Vor meinem ersten Laden habe ich ein Tonstudio betrieben und vor zwei Jahren bekam ich die Möglichkeit, ein Neues aufzumachen. Ich mache jetzt endlich wieder mehr Musik! Letztes Jahr habe ich mit anderen sehr geschätzten Musikern und Freunden ein Label gegründet, Kamai Music, und Anfang dieses Jahres kam außerdem mein erstes Produktions-Debut unter meinem bürgerlichen Namen heraus – und kam sehr gut an, setzte sich gleich in die Charts bei Beatport. Es ist diese berufliche Mehrschichtigkeit, die mir so gefällt, ich lege wieder mehr auf, habe verschiedene Gigs in verschiedenen Läden und fühle mich mit dieser Mischung sehr wohl. Ich kann Musik machen und treffe sowohl musikalisch als auch mit dem Kranich die spannendsten Menschen, komme in der Welt rum und habe mittlerweile das Gefühl, ich habe tatsächlich mit 23 den richtigen Weg eingeschlagen – oft war das Gefühl früher ein völlig anderes. Geh los, such Dir Deine Leute und mach, was Dich glücklich macht, fahr gegen die Wand, steh wieder auf und mach weiter!“
Der Mensch:
Robin Schellenberg ist einer von drei Inhabern des Klunkerkranichs. Nebenbei betreibt er ein Tonstudio, ein Musiklabel, produziert Musik und legt auf.
Der Ort:
Der Klunkerkranich befindet sich seit 2013 auf dem Dach der Neukölln Arcaden in der Karl-Marx-Straße 66, 12043 Berlin, U-Bahnhof Rathaus Neukölln.
Galeria Klunkerkranich
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