Am Boden bleiben

Train Tales 26.07.2020

Mit der Eisenbahn nach Marokko

Im Frühjahr dieses Jahres habe ich mir einen alten Traum erfüllt: Ich bin ganz ohne Flugzeug von Berlin nach Marokko gereist, mit der Eisenbahn, eine einwöchige Erlebnisreise, soviel reicher an Eindrücken und Abenteuer, als ein Flug je seien könnte. Und auch nicht viel teurer. Im Preis-Leistungsverhältnis sogar viel besser, denn anders als eine Flugreise von A nach B kann ich mit der Eisenbahn so viele Zwischenstopps einlegen wie möchte und so meine Fahrt zu einem Städtereisetripp upgraden. Dabei erlebe ich, wie sich langsam Landschaft und Leute verändern und bekomme ein viel besserer Gefühl für Entfernung, Reise und diesen schönen Planeten. Der Weg ist das Ziel. Und das Ziel am Ende das Surferparadies Tamraght in der Nähe des deutlich bekannteren Taghazouts unweit von Agadir. Endlose Strände und Top-Wellen als Belohnung eines etwas anderen Trips am Boden.

Nun fragt mensch sich natürlich, welchen Sinn es ergibt, in Pandemie-Zeiten von großen Zugreisen zu schwärmen. Während diese Zeilen entstehen, haben die wenigsten von uns Lust, quer durch Europa zu reisen, von einer Überfahrt nach Marokko ganz zu schweigen, Stand jetzt ist unklar, wie lange es Uckermark statt Toskana heißen wird. Aber wenn es eines Tages einen Impstoff oder eine Abschwächung des Virus geben sollte, erinnern wir uns dann hoffentlich daran, dass wir nicht so weitermachen wollten wie vor der Corona-Krise, dass diese düstere Zeit eben durch Fehlverhalten menschengemacht war. Die neue grüne Normalität. Und die Wahl eines Verkehrsmittels ist immer auch ein praktisches klimapolitisches Statement. Zur Einordnung: Laut Weltklimarat hat jedeR von uns ein Jahresbudget von ca. 2,3 Tonnen CO2-Ausstoß, um in den nächsten zehn Jahren die irreparable Klimakatstrophe inkl. Auslöschung der Lebensgrundlagen der Menschheit auf großen Teilen des Planeten aufzuhalten. Ein simpler 4-Stunden-Flug, wie es meiner nach Marokko gewesen wäre, entspricht bereits über ein Fünftel davon.  Von ferneren Reisen ganz zu schweigen. Es bedarf eines selbstverständlichen ökologischen kategorischen Imperativs: Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. Das Reisen per Schiene statt Flugzeug spart 90% der Emissionen ein.

Noch ist die Fernreise mit dem Zug ein kostspieligeres und komplizierteres Vergnügen. Fluggesellschaften zahlen quasi keine Steuern und werden in Krisenzeiten von den SteuerzahlerInnen gerettet, es gibt so gut wie keine Nachtzüge mehr und  auch keine globale Buchungsmöglichkeit. Aber je mehr von uns genau das vorleben, was sie von der Politik einfordern und je weniger Menschen sich dem Klimaalbtraum Flugzeug hingeben, desto schneller wird sich das ändern. Und bereits jetzt macht das Reisen ohne Kerosin viel mehr Spaß! Natürlich hat nicht jedeR stets Zeit für lange Reisen mit dem Zug. Unsere globale Tourismuskultur hat den fernen Kurztrip als neuen Normalzustand definiert und ein Wandel zum nachhaltigen Reisen ist auch erstmal ein Kulturwandel. Aber vielleicht können wir uns ja schon mal angewöhnen, zumindest eine Richtung nicht mehr im Flieger zu verbringen. Jeder nicht geflogene Kilometer rettet diesen Planeten vor dem baldigen Kollaps.

Hier ein paar Tipps, falls Du es mir einmal gleich tun möchtest. Wie schon erwähnt, gibt es keine Möglichkeit, eine Zugreise durch halb Europa bequem auf einer einzigen Webseite zu buchen. Das musst Du leider jeweils einzeln auf den Bahnwebseiten der entsprechenden Länder vornehmen. Es gibt aber ein Angebot, dass Dir für alle möglichen Strecken die entsprechenden Routen präsentiert und auf die jeweiligen Buchungsmöglichkeiten verlinkt: www.rail.cc. Mega praktisch! Du suchst Dir dort also Deine Route raus und buchst dann einzelne Tickets auf den Länderseiten. Am besten so 2-3 Monate vor Deiner Reise, dann sind die Preise noch erschwinglich. Beachte, dass die Tickets stets zuggebunden sind, soll heißen: Wenn Du einen Zug verpasst, verfallen alle Deine weiteren Tickets, sofern Du nicht entsprechende Pausen als Puffer einbaust. Ich bin deshalb immer nur maximal zwei Verbindungen je Reisetag gefahren. Es geht ja beim Reisen am Boden ja auch nicht in erster Linie um die maximale Kilometerzahl pro Tag. Sondern darum, die Welt neu zu erleben.

Los geht die über 3.000 Kilometer lange Reise am Berliner Hauptbahnhof. Es ist das letzte Mal, dass ich meine große Stadt in Vor-Corona-Zeiten erlebe, aber das ahne ich da natürlich noch nicht. Überhaupt, und das ist die zweite Geschichte neben dem großen Bahnabenteuer, ohne es zu wissen, erlebe ich auf meiner großen Fahrt die kommenden europäischen Pandemie-Hotspots kurz vor dem Ausbruch. Bilder, die vier Monate alt sind und gefühlt vor einer halben Ewigkeit aufgenommen wurden.

Ekvidi Berlin Hauptbahnhof

 


1. Station: Paris

Dauer der Fahrt von Berlin: Knapp 8 Stunden (inkl. umsteigen)

Kosten: Ca. 40 EUR bei Buchung über Webseite der Deutschen Bahn (Sparpreis-Ticket)

Komfort-Faktor: ICE, also okay.

Abenteuer-Faktor: Mäßig, ist halt ne Bahnfahrt durch Deutschland. Aufregend wird es erst auf französischen Boden, wenn der Zug plötzlich schneller als 300 km/h fährt.

Urlaubs-Faktor: Da ich noch was zu arbeiten mitgenommen habe, fühlt es sich noch gar nicht richtig wie Urlaub an. Dabei fällt noch ein großer Pluspunkt zum Flugzeug auf: Man kann im Zug viel besser arbeiten als im engen Flugzeug und dem ganzen nervigen Drumherum.


2. Station: Barcelona

Dauer der Fahrt von Paris: 6 1/2 Stunden (Direkt)

Kosten: 69 EUR bei Buchung über SNCF-Website

Komfort-Faktor: Meeega, denn ich reise erster Klasse (war nur 10 EUR teurer) und sitze gefühlt im eigenen Wohnzimmer.

Abenteuer-Faktor: Groß! Es geht ganz wunderbar ein Stück am Meer entlang. Und wie fix mensch mit dem Zug in Spanien ist…

Urlaubs-Faktor: Endlich Urlaub! Für Barcelona habe ich mir zwei Tage Zeit eingeräumt und schlendere durch die schmalen Gassen voller Geschichte. Neben der touristischen Altstadt begeistert mich die Kulturlebendigkeit der Hauptstadt Kataloniens, angefangen von der vielfältigen Graffiti-Szene. Kunst, Musik und Museum, es gäbe für ganz viele Tage etwas zu sehen. Eine Stadt als Freiluft-Museum. Ganz nach meinem Geschmack. Und Barcelona ist sooo lecker, überall gibt es kleine Köstlichkeiten in ebenso kleinen Restaurants.


3. Station: Madrid

Dauer der Fahrt von Barcelona: 2 3/4 Stunden (Direkt)

Kosten: Ca. 80 EUR bei Buchung über Renfe-Website. Ging aber nur 45 Tage vorher zu buchen, warum auch immer.

Komfort-Faktor: Der schnelleste Zug meiner Reise, in weniger als 3 Stunden über 600 Kilometer. Schenkt mir quasi einen weiteren Tag vor Ort. Morgens in Barcelona frühstücken, mittags in Madrid flanieren.

Abenteuer-Faktor: Semi. Dieser Teil der Reise kommt dem Fliegen am nächsten inkl. Boarding-Schlange und Gepäckkontrolle.

Urlaubs-Faktor: Madrid ist ziemlich vielfältig. Königliche Prunkbauten, Shopping-Meilen und furchtbare Franko-Architektur auf der einen Seite, kleine sympathische Szene-Viertel auf der anderen. Und alles ganz nah beieinander. Der abendliche Sonnenuntergang auf dem Stadthügel ist der Knaller. Wie in Paris nervt der extrem aufdringlich nach außen gezeigte Reichtum der Stadt. Leben könnte ich hier nicht. Ich hatte trotzdem einen richtig schönen Tag in Madrid, da der Zug so früh ankommt, reicht hier auch einer.


4. Station: Algeciras

Dauer der Fahrt von Madrid: Ca. 5 Stunden (Direkt)

Kosten: Ca. 25 EUR bei Buchung über Renfe-Website.

Komfort-Faktor: Das war’s mit den High-Speed-Trains, ab jetzt wird in „normalen“ Zügen gereist. Dafür viel günstiger. Geht auch und mensch sieht viel mehr von der Landschaft.

Abenteuer-Faktor: Die Fahrt von Madrid bis zur Straße von Gibralter ist ein absolutes Highlight der Reise quer durch die hügelige Märchenlandschaft Andalusiens.

Urlaubs-Faktor: Algeciras ist eine eher kleine spelunkige Hafenstadt am Rande Europas. Hier übernachte ich auch gar nicht, sondern nehme direkt die Fähre nach Marokko. Für ein Spaziergang reicht die Zeit aber.


5. Station: Tanger

Dauer der Fahrt von Algeciras: 1,5 Stunden (Fähre!)

Kosten: Ca. 30 EUR bei Buchung über Direct Ferries. Der Fährhafen ist fußläufig vom Bahnhof erreichbar.

Komfort-Faktor: Mensch verbringt einen Großteil der Fahrt damit, sich an Bord am Schalter der marrokanischen Polizei anzustellen, um einen Einreise-Stempel im Pass zu bekommen. Der ist aber wichtig, sonst kommst Du später nicht aus dem Hafen in Tanger Med raus.

Abenteuer-Faktor: Groß! Erst geht es über die Meerenge von Gibralter und Du siehst Europa langsam kleiner werden. Dann beginnt die erste richtige Herausforderung der Reise. Die Fähren aus Algeciras kommen nämlich nicht direkt in der Stadt Tanger an, sondern im neugebauten Großhafen Tanger Med. Der ist so ca. 40 Kilometer von der Stadt Tanger entfernt. Morgens fahren vereinzelte Züge, tagsüber auch Busse, ich komme aber am Abend an und teile mir mit zwei Dänen und einem Japaner ein Sammeltaxi (fahren am Ausgang des Hafens los) für insgesamt 30 EUR. Das fährt dann direkt in die Medina Tangers.

Urlaubs-Faktor: Sehr groß! Endlich bin ich in Afrika! Tanger ist richtig, richtig hübsch. Eine typische Medina (mein Riad ist unglaublich schön mit Blick über die Altstadt), ein riesiger Strand und eine ganz spannende Symbiose aus europäischen und afrikanischen Elementen. Hier wäre ich gerne länger geblieben als nur ein Tag, mir war vorher leider nicht klar, wie schön Tanger ist.


6. Station: Marrakesch

Dauer der Fahrt von Tanger: Ca. 5 Stunden (umsteigen in Casablanca)

Kosten: Ca. 25 EUR bei Buchung über die marokkanische Bahn.

Komfort-Faktor: Die letzte Bahnfahrt meiner Reise ist zweigeteilt. Los geht es im umgebauten TGV mit 320 km/h entlang am Meer – was für ein Erlebnis! Dazu ein Speisewagen mit Tajines auf der Karte. Wow. Ab Casablanca wechselst Du in einen uralten Rumpelzug mit 8er-Abteil, der dann aber überraschend fix durch die karge marokkanische Landschaft eilt.

Abenteuer-Faktor: Ab jetzt ist eigentlich jede Sekunde der Reise ein großes Abenteuer.

Urlaubs-Faktor: Marrakesch ist der Touristen-Hot-Spot Marokkos und ein einzige große Überforderung. Die Medina (Altstadt) ist unüberschaubar groß (Tipp: Lade Dir vorher Offline-Karten der Medinas auf Dein Handy, dann verläufst Du Dich nicht), ständig wird man angesprochen (um Dir was zu verkaufen) und des nachts sieht der Hauptplatz aus wie das Fusion-Festival. Mir eigentlich alles zu stressig, ich lerne aber sehr sympathische Marokkaner kennen, die mich zum Essen einladen und durch die Altstadt führen.


7. Station: Agadir / Tamraght / Taghazout

Dauer der Fahrt von Marrakech: Ca. 4 Stunden (mit dem Bus!)

Kosten: Ca. 20 EUR bei Buchung mit dem Bus-Partner der marokkanische Bahn, Supratours bis Agadir. Von dort möchte ich noch weiter bis zum Surferparadies rund um Taghazout, dafür nehme ich ein Taxi (so 1-2 EUR) vom ZOB zum lokalen Busbahnhof und von dort den alle 20 Minuten fahrenden Nahverkehrsbus (nochmal so 1-2 EUR).

Komfort-Faktor: Leider liegen bis heute keine Schienen zwischen Marrakesch und Agadir. Geplant ist das schon länger, aber zuerst wurde eine Autobahn gebaut. Also mit dem Bus.

Abenteuer-Faktor: Die Reise ist mega entspannt, lediglich der Weg vom ZOB Agadirs zum lokalen Busbahnhof nervig, weil sich die Taxifahrer regelrecht darum prügeln, Dich befördern zu können.

Urlaubs-Faktor: Angekommen! Die siebte Station ist auch die letzte meiner großen Reise: Tamraght in der Nähe von Taghazout, dem wohl bekanntesten Ort zum Surfen in Marokko. Hier bleibe ich drei Wochen, bin täglich auf dem Surfbrett und genieße die Schönheit der marokkanischen Urlaubsküste.


Ich hatte selten so viel Spaß um von A nach B zu kommen. Und das, ohne selber zu fahren oder schlechtem CO2-Gewissen. Kein Jetlag und kein Tomatensaft, dafür die Wiederentdeckung der Kultur der langen Zugreisen über Kontinente hinweg. Die Gesamtverspätung aller Züge betrug übrigens zusammen eine halbe Stunde.

Eigentlich wollte ich auch per Zug wieder zurückreisen, dann mit anderen Zwischenhalts. Gebucht war das alles auch schon. Wie gerne hätte ich Dir auch diese Bilder gezeigt. Dann kam aber der März und die große Pandemie mit der Schließung der Grenzen und am Ende verbrachte ich Tage am Flughafen Agadir, um ausgeflogen zu werden. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte (und hoffentlich mein allerletzter Flug gewesen)…

ekvidi Agadir