BERLIN TALES 20.10.2013
Neukölln will nichts von Dir
Ich hatte mich also entscheiden, aus dem günstigen und aufstrebenden Moabit in das viel teurere aber eben auch viel lebendigere Neukölln zu ziehen. Sieben Jahre in the middle of Berlin but nowhere sollten genügend sein, und als neuer Kiez kam für mich nur Neukölln in Frage, des kulturellen Angebots wegen. Mir war von vorneherein klar, dass dieses Unterfangen nur mit einer Portion Glück zu einem positiven Abschluß geführt werden konnte, denn ich hatte auch noch Flausen in Form von Balkon, Dielenboden, gutem Schnitt und viel Lichteinfall im Kopf. Darüber hinaus hatte sich der Sinn des Zahlens einer Provision an eine Hausverwaltung mir nie ganz erschlossen und als Höchstgrenze setzte ich 10 EUR Monatsmiete für den Quadratmeter an.
Meine Suche sollte mehrere Monate gehen und glückte am Ende nur deshalb, weil ich zumindest einer Wunschflause den Garaus gemacht hatte. Eine freie Wohnung, die all meinen Vorstellungen entsprach, wurde mir während meiner Suche nur ein einziges Mal angeboten. Und das ging dann so: Die Wohnung sollte an drei verschiedenen Tagen besichtigt werden. Natürlich entschied ich mich dazu, bereits am ersten Termin vorstellig zu werden, denn wer zuerst kommt, wohnt zu erst. Bereits eine halbe Stunde vor diesem ersten Besichtigungstermin standen die ersten Interessenten vor dem Haus. Als es dann soweit war, sich das Objekt anschauen zu können, war der Menschenauflauf kurz vor der Dreistelligkeit. Da der Bürgersteig in dieser Seitenstraße der Karl-Marx-Straße für diese Massen zu schmal war, drängelten sich die Neukölln-Obsessiven bereits auf der Fahrbahn der Straße. Besorgte Anwohner fragten sich währenddessen, für oder gegen was sich die Demo wohl ausspricht, die da anscheinend in ihrer Straße stattfand. Oder war das einer dieser Flashmobs, von denen man immer so viel liest?
Besichtigt werden konnte die Wohnung nur nach und nach, denn die Menschenmassen überstiegen das Fassungsvermögen sowohl des Hauses als auch der Wohnung bei weitem. Der überforderte Makler hatte weder genügend Visitenkarten noch Bewerbungsbögen bei sich und stellte derweil fest, dass das Angebot wohl zu günstig inseriert wurde. Der geneigte Leser soll an dieser Stelle erfahren, dass der Mietpreis auch hier immer noch bei stattlichen 9,50 EUR / warm lag. Nach zwei Tagen der Besichtigung (zu einem dritten Termin kam es gar nicht mehr) lagen der vermietenden Hausverwaltung 91 schriftliche Bewerbungen vor. Meine Bewerbung gar nicht mitgerechnet, denn des Glücksspiels eher skeptisch gegenüber stehend hatte ich mich dagegen entschlossen, die Nummer 92 zu werden. Und so entstand dieses Foto: Der Stairway to Neukölln, anstellen über drei Etagen, ein Weg gespickt mit Verheißungen und Demütigungen. Neukölln will nichts von Dir.