Tanz an der Nazi-Ruine

PRORA TALES 27.05.2014

Wer sich den Größenwahn Nazi-Deutschlands vor Augen führen möchte, muss nach Prora auf Rügen in Mecklenburg-Vorpommern fahren. Auf fünf Kilometer Länge entstand hier in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts das wohl längste Hotelgebäude der Welt. 22.000 ausgewählte Nazi-Deutsche sollten unter dem Motto „Kraft durch Freude“ gleichzeitig streng organisierte Ferien machen können, um fit in den Krieg zu ziehen. Fertig wurde der Stahlbeton-Koloss jedoch nie, lediglich ein Polizeibataillon und einige Luftwaffenhelferinnen wurden während der Nazi-Herrschaft auf Prora beherbergt.

Nachdem die DDR das Nazi-Monstrum als Kaserne nutze, ist das Gebäude heutzutage teilweise in privater Hand, außerdem als Jugendherberge saniert und ansonsten eine Ruine. Einen geschichtsträchtigen Ort haben sich die Macher des elektronischen Festivals „Her mit dem schönen Leben“ also ausgesucht, um diesem düsteren Ort bunte Kleckse zu verpassen: Drei Tage Musik, Tanz und Hedonismus. Just an dem Wochenende, an dem zuhauf rechtsradikale Parteien ins Europäische Parlament gewählt wurden, tanzten und feierten ca. 1.500 Freunde der elektronischen Musik unweit des großen Schriftzugs „Nie wieder Faschismus“ am Strand von Prora und versuchten so, diesem Ort der Verachtung der menschlichen Individualität eine neue Bedeutung zu geben. If we can’t dance to it, it’s not our revolution. Auch wenn es noch ein weiter Weg ist, wie die Wahl in Europa gezeigt hat.

Was bleibt von drei Tagen schönem Festival auf Prora ist das gute Gefühl, ziemlich viel Glück zu haben, in der Jetzt-Zeit und nicht vor 80 Jahre zu leben. Um aber zu sehen, wie nah die Schatten der braunen Vergangenheit noch immer sind, muss man gar nicht weit nach Europa schauen. Für das Festival „Her mit dem schönen Leben“ wurde die Firma „Baltic Secur“ als Sicherheitsdienst engagiert, die wiederum ihre Mitarbeiter scheinbar aus der ortsansässigen Nazi-Szene rekrutiert haben. Muskelbepackte Skinheads mit abgeklebten Runen-Tattoos waren leider auch ein Anblick auf dieser Veranstaltung. Ich glaube den Machern des Festivals, wenn sie im Nachhinein beteuern, dass sie nicht wussten, mit wem sie hier zusammengearbeitet haben. Wahrscheinlich ist es schlicht unmöglich, im dünnbesiedelten Norden Mecklenburg-Vorpommerns einen nazifreien Sicherheitsdienst zu beauftragen. Wie gesagt, es ist noch ein weiter Weg. Her mit dem Europa ohne Faschismus!

 

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